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Maximilian R. Schlechtinger

Wissenschaft & Klimawandel bei F. Schätzing

Wissenschaft & Klimawandel bei F. Schätzing

Diese Hausarbeit eine akademischen Prüfungsleistung gewesen. Das Thema des Seminars lautete “Gegenwartsliteratur”. Im Seminar selbst sprachen wir über Literatur, die seit 2000 erschienen ist und einen Einfluss auf unseren gesellschaftlichen Diskurs hat. Mein Beispiel war der deutsche Autor Frank Schätzing.


EINLEITUNG

Einführung ins Thema

Was, wenn wir einfach die Welt retten? Das aktuelle Buch des deutschen Autors Frank Schätzing trägt diese Frage im Titel. Es handelt sich um ein Sachbuch, welches unterschiedliche Aspekte des Klimawandels diskutiert und in Perspektive setzt. Der Autor beschreibt darin gleichzeitig seine eigene Position zur Veränderung der globalen Großwetterlage und zudem räumt er mit einigen polarisierenden Halbwahrheiten auf, die zurzeit die Nachrichten beherrschen. Er ist nicht apostolisch, jedoch prophetisch. Mit erhobenem Zeigefinger warnt er vor einer drohenden Katastrophe …

Doch viel eher kann sich spätestens dort dem aufmerksamen Schätzing-Lesenden die Frage aufwerfen, warum er das eigentlich tut. Auf der einen Seite gibt es im Lebenswerk Schätzings die interessante Verbindung von Belletristik und Sachbuch und zum anderen auch der beständige Anspruch auf wissenschaftliche Stichhaltigkeit und Korrektheit. Er könnte auch einfach Fantasy schreiben, tut es aber nicht.

Frank Schätzing wird immer wieder mit den Themen „Wissenschaft“ und „Klimawandel“ in Verbindung gebracht. Sein Durchbruchswerk „Der Schwarm“ (2004) hat, auf eine in den 2000ern bisher nicht dagewesene Weise, das Thema Klimawandel aktualisiert und veranschaulicht. Er versteht sich darauf, große Ereignisse (ein Tsunami in der Nordsee, die Erderwärmung, eine drohende Energiekrise) auf eine Weise zu betrachten, die an Einzelfallbeschreibungen erinnert. Es sind stets die Schicksale der Figuren, die hervorgehoben werden, um das Größere zu erklären. In den Büchern von Schätzing gibt es eine Reihe von Katastrophen, welche in diesem Muster beschrieben werden. Begonnen bei dem zerstörerischen Tsunami in „Der Schwarm“, über die Verstrickungen in Energiepolitik („Limit“), die kataklystischen Ausmaße einer künstlichen Intelligenz („Tyrannei des Schmetterlings“) bis hin zum aktuellen Sachbuch „Was, wenn wir einfach die Welt retten?“.

Die Fragestellung

Klassische Analysen von Lyrik oder Poesie arbeiten sich häufig an der Frage ab, was denn der Autor eigentlich sagen wollte. Man gibt sich dem Spielraum der Interpretation hin und findet mit ein wenig Scharfsinn das ein oder andere versteckte Merkmal eines Textes. Bei Frank Schätzing dreht sich dieser Mechanismus jedoch um. Die Richtigkeit der Wissenschaft wird vom Autor selbst hervorgehoben. Seine Recherche ist so umfassend, dass sie meist ein Vielfaches des Schreibprozesses ausmacht. Da seine Themenwahl nicht zufällig ist, lässt sich ein Muster erahnen, welches hier diskutiert werden soll. Zweifelsohne könnte ein solcher Autor den Schreibprozess abkürzen und gegebenenfalls die nicht ganz passenden Elemente der Imagination überlassen. Es ist nicht gefordert, wie in einer universitären Hausarbeit zum Beispiel, eine gewisse wissenschaftliche und gegenständliche Korrektheit aufzuweisen. Warum macht Schätzing das also? Anders gefragt: Ist die Wissenschaft und deren Darstellung bei Schätzing programmatisch? Wenn ja, welches Ziel könnte der Autor damit verfolgen? Diesen Aspekten möchte sich diese Hausarbeit nähern.

Der Autor – Frank Schätzing

Ich denke nicht, dass es Schätzings eigentlicher Plan gewesen war, Schriftsteller zu sein. Er studierte Kommunikationswissenschaft und trat vor den 90ern nicht als Autor in Erscheinung. Nun kennt ihn das Feuilleton und seine Werke finden international Beachtung. Ein interessanter Werdegang für einen Marketing-Strategen.

1957 wurde Frank Schätzing in Köln geboren. Dort lebt und arbeitet er seitdem. Sein Studium absolvierte an der Westdeutschen Akademie für Kommunikation[1], ebenfalls in Köln. Nach einer Tätigkeit als Creative Director, bei verschiedenen international operierenden Agenturen, gründete er die Werbeagentur Intevi[2]. Dort arbeitete er für namhafte deutsche Autohersteller[3] und Firmen der deutschen Technologiebranche.

In den 1990er Jahren begann er Bücher zu publizieren. Die Werke, welche als „Köln-Krimis“ bezeichnet werden, erschienen im Emons Verlag[4]. Das Label „Köln-Krimi“ bezeichnet Bücher, die die (historische) Location Köln als Handlungsort wählen.

Erst mit dem Wissenschaftsthriller „Der Schwarm“[5] (2004) wechselte er den Verleger und damit auch direkt an den Kölner Dom zu Kiepenheuer&Witsch[6]. Seit 2004 publiziert Schätzing Bücher mit Wissenschaftsanspruch. Als er entdeckte, dass er lediglich einen kleinen Teil seiner Recherche in „Der Schwarm“ verwendet hatte, entschloss er sich, ein Sachbuch zum Thema Tiefsee zu publizieren („Nachrichten aus einem unbekannten Universum“, 2007)[7]. Damit gewann er eine zusätzliche Leserschaft im Bereich der nicht-fiktionalen Literatur.

Es folgten weitere Werke in ähnlichem Umfang, welche sich mit anderen Aspekten des menschlichen Handels im 21. Jahrhundert auseinandersetzen. Sein aktuelles Buch „Was, wenn wir einfach die Welt retten?“, (2022) betrachtet eben diesen Spagat zwischen Wissenschaft und Thriller.[8]

Frank Schätzing ist mit Sabina Valkieser-Schätzing verheiratet, welche dem Cover des „Schwarms“ ihre Iris lieh.[9] Er trat in der ZDF-Serie TerraX als Moderator auf und engagiert sich für verschiedene soziale Projekte.[10] Darüber hinaus ist er Mitglied bei P.E.N. Deutschland.[11]

ANALYSE

Die Grenzen zwischen Wissenschaft und Fiktion sind klarerweise scharf getrennt. Die Fiktion darf alles und regelt notfalls durch Improvisation und Raffinesse. Die Wissenschaft hingegen ist real, greifbar und vertrauenswürdig. Diesen Anspruch an die eigene Fiktion zu stellen, verlangt eine tiefere Beschäftigung mit dem jeweiligen Sujet. Im weiteren Verlauf betrachten wir ausgewählte Werke Schätzings und jeweils eine „Katastrophe“ darin. Danach setzen wir diese in Zusammenhang mit der generellen Rezeption Schätzings, um dann die Frage zu beantworten, welchen programmatischen Anspruch der Autor haben könnte.

DER BEGRIFF „WISSENSCHAFTSFIKTION“

Fragt man den Autor selbst, so beschreibt er seine Bücher meist als „Wissenschaftsthriller“ und sich selbst als „Thriller-Autor“[12] Die hier vorgestellten (belletristischen) Bücher als Thriller einzuordnen ist grundsätzlich nicht falsch, es soll jedoch um das größere Bild gehen. Zudem befinden sich auf der Liste auch die beiden Sachbücher „Nachrichten aus einem unbekannten Universum“ und „Was, denn wir einfach die Welt retten“, die nun ihrer Natur als Sachbuch wegen gar keine Thriller sein sollten.

Frank Schätzing beschreibt seinen Anspruch an die Synthese aus Wissenschaft und Fiktion selbst wie folgt: „Genau darin liegt die Stärke der Fiktion. Sie kann, sie darf, sie muss überhöhen, um zu erreichen, was die Nachrichten nicht mehr schaffen. Nämlich den Menschen zu berühren. Was wollen wir denn? Den Lesern und Kinobesuchern das Examen abnehmen, oder sie für die Zukunft sensibilisieren?“[13]

„DER SCHWARM“

Publiziert 2004 beim Kiepenheuer&Witsch Verlag markiert „Der Schwarm“ den Wendepunkt in der Karriere Schätzings. Bis dato war ihm eher Erfolg im Raum Köln beschieden, ab jetzt ist er zunächst nationaler und später internationaler Bestsellerautor. „Der Schwarm“ wird in 27 Sprachen übersetzt und verkauft sich bis 2023 knapp über 4 Millionen Mal. Es ist das erste von Schätzings Büchern, die man als „Wissenschaftsthriller“ (wissenschaftsfiktional) bezeichnen kann.

Die Handlung spielt sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts ab und fängt das Fortschreiten des Klimawandels ein. Schätzing entwirft eine Fülle von Figuren aus verschiedenen sozialen und wirtschaftlichen Hintergründen (Wissenschaft, Militär, Öl-Industrie) und konfrontiert diese mit den Gefahren der Tiefsee. Der Klimawandel in „Der Schwarm“ wird von einer intelligenten Tiefseespezies (genannt „Yrr“) beschleunigt, welche sich nun literarisch am Menschen rächt. Diese eigentliche Einzellerlebensform hat die Eigenschaft als Schwarmintelligenz zu funktionieren und gibt der Geschichte daher auch den Namen. Es gelingt eine Kommunikation mit den Yrr, doch der Mensch geht in Sachen Klimawandel eindeutig als Verlierer vom Platz.

Ein Tsunami in der Nordsee

Als Kipppunkt in der Handlung des Schwarms steht zweifelsohne der Tsunami, welchen der Autor in der Nordsee entfesselt. Dieser hat einen wissenschaftlichen Hintergrund und ist tatsächlich absolut plausibel: Das Schelf vor der norwegischen Küste ist von Methanhydraten durchsetzt, die unter hohem Druck (in 50-80 Meter unter dem Meeresboden) und einer konstant kalten Wassertemperatur, stabile kristalline Strukturen bilden. Erwärmt sich dort das Wasser, so resublimieren die Gaspartikel und dehnen sich aus. In „Der Schwarm“ sind die Yrr für diese Wassererwärmung verantwortlich, es könnte jedoch auch schlicht der Treibhauseffekt sein. Da sich vor Norwegen eine große Menge Methanhydrate[14] befindet, lässt dieses Phänomen den Meereshang instabil werden und abrutschen. Der ausgelöste Effekt ist ein Tsunami in der Nordsee, welcher von Trondheim, über Nordengland, bis hin nach Nord- und Ostfriesland alles erfasst. Nun erzählt Schätzing dieses Ereignis eben nicht als nüchterne Nachrichtenmeldung, so wie ich gerade. Er beschreibt das teilweise tödliche Schicksal einzelner Figuren, an genau diesen Handlungsorten. Einige gehen in den Wassermassen zugrunde, einige können sich gerade so retten. Die Beziehungen und emotionalen Verluste der Figuren untereinander macht aus dem Tsunami erst eine echte Katastrophe.

„LIMIT“

Der Roman „Limit“ setzt sich mit dem Beginn einer Energiekrise in der nahen Zukunft auseinander. In den 2040er Jahren gelingt es dem Milliardär Julian Orley, die Förderung des Isotops Helium-3 auf dem Mond lukrativ zu machen. Dieses wird in Kernfusionsreaktoren auf der Erde verwendet, um Elektrizität zu erzeugen. Damit stürzt er die Industrie fossiler Brennstoffe in eine katastrophale Krise.

Der rote Faden des Romans ist eine geführte Reise von Orleys Investoren und Interessenten zu einem Hotel auf der Oberfläche des Mondes. Während der Reise entpuppen sich jedoch Teile der Reisegesellschaft als Schläfer-Agenten mit chinesischem, US-amerikanischen und kanadischem Hintergrund und der Absicht das Hotel zu zerstören und Julian Orley inklusive seiner Wirtschaftsunternehmen zu eliminieren. Es kommt zu mehreren tödlichen Konflikten. Gegen Ende der Handlung zeichnet sich die wahre Urheberschaft der Morde ab, nämlich die verkümmernde Ölbranche auf der Erde, welche sich aus letzten Kräften zu wehren versucht – erfolglos.

Die Menschheit im Lichte einer Energiekrise

Auch diese Krise entfaltet sich als Reihe von Einzelschicksalen. Stellvertretend für eine gesamte Branche entwirft Schätzing die Figur des Konzernchefs Gerald Palstein, der versucht, das Image seiner Firma (und damit der fossilen Brennstoffe) zu retten. Er gerät allerdings zunehmend in Gewissenskonflikte, gerade beim Thema „Abbau von Ölsand“ und „Fracking“.

Gleichzeitig zu dieser Handlung spielt sich in Äquatorial-Guinea eine weitere Wirtschaftskrise ab. Geldgeber der dortigen Industrie waren Groß-Investoren aus dem fernen Osten gewesen, die sich nun anderen lukrativeren Geschäften zuwenden. Auch hier wird das Ausmaß des Umbruchs am Schicksal von Andre Donner erzählt, welcher eigentlich nur zu überleben versucht.

Über „LIMIT“ lässt sich allgemein sagen, dass der Wandel in Technologie und Energiebranche nicht als globales Problem beschrieben wird, sondern ganz realitätsgetreu am drastischen Lebenswandel einzelner. Wie ein hochauflösendes Bild geht es um Jobverlust (Kanada), Gesichtsverlust (China), Macht und Korruption (Guinea) und schlussendlich auch um Verzweiflungstaten, um am Leben zu bleiben (Showdown auf dem Mond). Zwischen den Zeilen ist der Fingerzeig des Autors, denn die Auswirkungen einer Energiekrise werden primär und am härtesten von Einzelnen erlebt, nicht von Konzernen.

„TYRANNEI DES SCHMETTERLINGS“

Der achte Roman Schätzings, „Die Tyrannei des Schmetterlings“ beschäftigt sich mit den Gefahren und Auswirkungen einer künstlichen Intelligenz, welche die menschlichen Kenntnisse von Wissenschaft und Forschung weit überschreitet. Das Programm, genannt A.R.E.S ist in der Lage, künstliche Wurmlöcher in parallele Universen zu öffnen. Schätzing hält sich bemerkenswerterweise auch hier an die Erkenntnisse der Wissenschaft. Während die Inhaber der K.I.[15] versuchen einen wirtschaftlichen Vorteil aus den Technologien ihrer Parallelwelten-Conterfeys zu erhalten, plant A.R.E.S im Hintergrund, wie es das lästige Übel Mensch loswerden kann. Es kommt zum Showdown mit dem Computer, in welchem die Protagonisten in ein weiteres paralleles Universum geschickt werden, wo sie die Auswirkungen von A.R.E.S Herrschaft beispielhaft erleben. In einer Welt ohne Menschen hat die K.I. das ökologische Gleichgewicht wiederhergestellt und darüber hinaus begonnen, sich selbst ins Universum fortzupflanzen.

Kontrolle eines Computers – Deus ex Machina

Seit die Menschheit begonnen hat Maschinen zu erschaffen, schwang auch stets die Angst vor dem belebten Computer, dem Deus ex Machina, mit. In der „Tyrannei des Schmetterlings“ setzt Schätzing seine Figuren genau dieser Katastrophe aus. Ein Merkmal dieses Szenarios ist die langsam größer werdende Machtlosigkeit der menschlichen Akteure. Das Programm A.R.E.S schlägt humanoide Strategen in ungefähr allen Metriken und kommt irgendwann zu dem verheerenden Schluss, dass die Bewohner des Planeten Erde das eigentliche Problem sind. Dabei ist A.R.E.S nicht bösartig, oder perfide. Schätzing entwirft hier kein Skynet[16], oder HAL[17], sondern ein kühl operierendes System, welches zu logischen Schlussfolgerungen kommt.

Im Ende der Handlung schickt der Autor seine Figuren in ein paralleles Universum, in welchem der Ziel-Zustand der K.I. wahr geworden ist, und führt dem Lesenden so vor Augen, was potentiell sein könnte.

Hauptfigur im Buch ist Luther Opoku, Sheriff des Sierra County, welcher eigentlich nichts mit der IT-Branche zu tun hat, jedoch in die Handlung verwickelt wird. Sein Einzelschicksal ist das Bezeichnende an der Katastrophe, denn am Ende entscheidet er sich gegen die Sicherheit vor A.R.E.S. und für das Leben mit seiner Tochter, die er sonst in seinem Ursprungsuniversum zurücklassen müsste. Alle Verwicklungen der Handlung führen auf diesen Moment hin, in welchem die Menschlichkeit über die Dominanz der Maschine siegt. Ein Happy End mit Beigeschmack.

DIE SACHBÜCHER

Wie eingangs erwähnt hat Frank Schätzing nicht nur Belletristik geschrieben. In ähnlicher Länge, wie seine Thriller, publizierte der Autor Sachbücher, die sich ebenfalls mit der Wechselwirkung zwischen Mensch und Planet Erde beschäftigen.

„Nachrichten aus einem unbekannten Universum“

Der Anekdote in der Einleitung nach, soll dieses Buch einmal auf einer Serviette in einer Berliner Kneipe geplant worden sein.[18] Schätzing habe seinen Verleger auf ein paar Drinks eingeladen und dabei bemerkt, dass er höchstens 10-20% seines Recherchematerials für den „Schwarm“ verwendet habe und der Rest eben nun rumliegen würde. Aus der Idee, daraus ein aufklärendes Sachbuch über die Rolle der Weltmeere zu machen, entstand „Nachrichten aus einem unbekannten Universum“. Darin vollzieht Schätzing die Geschichte des Planeten Erde anhand des Lebens in den Ozeanen nach. Es beginnt mit der Entstehung des Planeten und endet im einundzwanzigsten Jahrhundert. Dabei personifiziert er die Evolution als eine Gottheit mit unendlicher Kreativität. Ein Statement zum Klimawandel lässt sich zwischen den Zeilen erkennen: Er ist nicht vollständig menschengemacht, er wird nur von uns beschleunigt. Göttin Evolution wird eine Lösung für unser Problem finden, doch es könnte sein, dass sie uns als evolutionär nicht-mehr-brauchbar deklariert[19]. Dies greift das Verhältnis von menschlicher Existenz zur Erdgeschichte auf und schafft etwas mehr Bescheidenheit für unsere Rolle im Ökosystem.

„Was, wenn wir einfach die Welt retten? Handeln in der Klimakrise“

2021 publizierte Frank Schätzing sein aktuelles Buch „Was, wenn wir einfach die Welt retten?“ und gibt im Untertitel auch sofort die Direktive an: „Handeln in der Klimakrise.“ In der Einleitung beschreibt er die Herausforderungen des zwanzigsten und einundzwanzigsten Jahrhunderts als regelrechten Thriller[20], nur eben in der Wirklichkeit. Insofern verbindet sich an dieser Stelle das Schätzing-Programm von Wissenschaft und Unterhaltung. Er skizziert darin mehrere Szenarien für einen Umgang mit dem Klimawandel und entwirft gleichzeitig Handlungsvorschläge. Dabei achtet er stets darauf technisch schon machbares von Zukunftsvision zu unterscheiden. Insgesamt liest sich dieses Buch wie eine Aufräumaktion zu den Nachrichtenmeldungen des letzten Jahrzehnts. Gewissermaßen knüpft es an Schätzings Idee an, mit Literatur das zu schaffen „was die Nachrichten nicht mehr können“[21]. Ungewohnt deutlich lässt der Autor seine politische Position erkennen, nennt Namen und greift Handlungen von Konzernchefs, Politikern, Parteien und Staaten auf.

2022 erschien direkt die zweite Auflage des Buches, diesmal mit einer aktualisierten Einleitung. Die Entwicklungen des Ukraine-Russland-Konfliktes 2022 habe ihn dazu veranlasst, diese neue Komponente des Weltgeschehens mit aufzunehmen[22], so Schätzing zu Beginn des Buches

MEDIENWIRKSAM ABSEITS DES KLASSISCHEN BUCHES

Abseits des klassischen Mediums Buch arbeitet Schätzing auch mit der Wirksamkeit anderer Medien. Als ehemaliger Werbefachmann ist es ihm nicht zu verdenken, seine Bücher auf diese Art zu vermarkten. Er selbst sagt, dass er Bücher schreibe, die sich lesen ließen, wie (potentielle) Verfilmungen.[23]

Hörfassungen und Hörspiele

„Der Schwarm“ wurde 2004 als (zunächst gekürzte) Hörspielfassung publiziert.[24] Schätzings Frau Sabina lieh darin der Figur Tina Lund ihre Stimme. Frank Schätzing selbst spricht Jack Vanderbilt. 2014 erschien eine von Stefan Kaminski gelesene Fassung, des Textes als klassisches Hörbuch. Sämtliche Bücher Schätzings finden sich mittlerweile auf der Plattform Audible als Hörfassungen.[25]

Verfilmungen

Nachdem das ZDF die Filmrechte am Material des „Schwarms“ erworben hat, ging 2022 eine Fernsehserie in Produktion.[26] Diese wird im Frühjahr 2023 als achtteilige Serie veröffentlicht werden. Für einen deutschen Autor kurios: Produziert wird in englischer Sprache. Ehemals war eine Verfilmung mit Hollywood-Besetzung geplant gewesen. Diese wurde jedoch aufgrund der COVID-19 Pandemie und eines plötzlichen Todesfalls abgesagt. Ob weitere Verfilmungen von Schätzings Büchern geplant sind, ist nicht bekannt.

PROGRAMMATISCH?

Zurück zur Wissenschaftsfiktion und der Fragestellung nach der übergreifenden Intention Schätzings. Für Girt Kienzlen hat er ein Essay verfasst, welches im Band „Fakt, Fiktion, Fälschung – Trends im Wissenschaftsjournalismus“[27] erschien. Darin skizziert der Autor sein eigenes Programm. Er ist ein Vulgarist der Wissenschaft und versteht seine Arbeit als ein Kontextualisieren der Forschung. Um das zu erreichen, bietet er insgesamt sechs unterschiedliche Ansätze an, die ich hier paraphrasieren möchte:

1.Angst abbauen

Das Verschließen der Augen geschieht häufig aus der Angst (technologisch) abgehängt zu sein. Wir sollten bescheiden und mutig genug sein, um zu merken, dass auch Menschen in Spitzenpositionen nicht alle Wahrheiten kennen. Schätzings Gegenbeispiel: „Wer von uns kann einen Taschenrechner bauen, geschweige denn einen reparieren?“[28]

2.Die Menschen wichtig nehmen

Man kann und sollte den einzelnen Menschen die Intelligenz und Verantwortung zusprechen, die sie brauchen, um handlungsfähig zu sein. Man solle „kein akademisches Puzzle ausbreiten, das erst nach mühsamer Kleinarbeit ein Bild ergibt. Sondern vorgreifen aufs große Ganze“[29] Damit erkennt der Einzelne den Sinn der eigenen Handlungen.

3.Massenmedien nutzen

Wissenschaftlichkeit wird auch häufig nur in Fachzeitschriften und Kongressen diskutiert, doch es fehlt an breiter Öffentlichkeit für diese Themen. Mit Blick auf die Medienlandschaft von 2023 scheint sich dies gewandelt zu haben, dennoch bleibt es für Schätzing eine ständige Aufgabe.

4.Vorstellungskraft entfesseln

Trockene Wissenschaft erzeugt keine Emotionen. Kalte Fakten und Analysen bewegen niemanden zum Handeln. Durch die prominente Katastrophe des Tsunami in „Der Schwarm“ konnte Schätzing das Interesse an Erderwärmung und Methanhydraten vor der Küste Europas bildhaft und spannend machen.[30]

5.Mut zur Überhöhung

Anknüpfend an Punkt 4, bedarf es häufig schriftstellerischer Freiheit, um eine Botschaft zu übertragen. Gewisse Szenarien bekommt man nur mit Übertreibung verkauft, denn ansonsten wird es langweilig.[31]

6.Niemals den Zeigefinger heben

Mit der bloßen Anklage von Menschen kommt man nicht weiter, denn „kein Mensch wird jemals Spezialist für alles sein“[32]. Es geht vielmehr darum, den Elfenbeinturm zu verlassen und Begeisterung für sinnvolle Zukunftsvisionen auszulösen, anstatt mit erhobenem Zeigefinger zu plädieren, alles besser zu wissen.

REZEPTION VON SCHÄTZING

Ohne zu Übertreiben kann gesagt werden, dass Schätzings Bücher millionenfach verkauft wurden. Der Schwarm ging bis 2023 über 4 Mio. mal über die Ladentheke. „Limit“ startete mit einem Vorverkauf von 320.000 Exemplaren. Zweifelsohne haben diese astronomischen Zahlen Frank Schätzing zu einem sehr erfolgreichen und wahrscheinlich auch sehr wohlhabenden Autor gemacht.

Nach dem Erfolg des „Schwarm“ trat Frank Schätzing beispielsweise bei der ZDF-Serie TerraX als Moderator[33] in Erscheinung und verbreitete damit seine Botschaft der Umweltbewusstheit.

Paradox der Bekanntheit

Warum scheint eigentlich kaum jemand Schätzings Bücher tatsächlich zu lesen? Da dies keine empirische Forschung, sondern lediglich eine Seminararbeit ist kann ich keine Feldforschung anführen – nur eine persönliche Erfahrung: Ich habe beim Vortrag im Seminar die Frage ans Plenum gestellt und mit Überraschung festgestellt, dass zwar die Mehrheit von Frank Schätzing als Autor gehört hat, jedoch nicht wirklich eines seiner Bücher gelesen hat. Das mag eventuell an der Altersgruppe und dem zeitlichen Abstand liegen, der Schwarm ist schließlich vor fast zwanzig Jahren publiziert worden, doch mir scheint eher, dass es an der Wissenschaftlichkeit der Themenwahl liegt.

Für einen so breit rezipierten Autor scheint Schätzing eine verhältnismäßig kleine Leserschaft zu haben. Millionen von Exemplaren seiner Bücher sind verkauft worden und ich kann mir gut vorstellen, dass ein Teil von ihnen zur intellektuellen Dekoration in Bücherregalen verkommen ist. Sollte dies der einzige Verkaufsgrund sein, dann hätte Frank Schätzing sein Ziel des „Aufrüttelns zu Sensibilisierung von Wissenschaft“ verfehlt. Mit Blick auf das aktuelle Zeitgeschehen und die neu verhandelten Fragen zu Klima und Umwelt kann ich dem jedoch nicht zustimmen. Schätzings Bücher waren Zeitgeist-bildend. Ob nun direkt, oder eben in zweiter Instanz – man sprach darüber und darüber wo sich Wissenschaft und Literatur begegnen. Ganz im Sinne des Autors.

FAZIT

Beantwortung der Eingangsfrage

Ist nun die Arbeitsweise Frank Schätzings programmatisch? Klares Ja, bei der Auswahl der Themen, der Kohärenz der Publikation und des persönlichen Engagements des Autors. Er springt nicht auf einen Trend auf, schreibt nicht, was grade en vogue ist und ist mutig genug, seine Botschaft auf Hunderten von Seiten zu präsentieren. Vom „Schwarm“ bis zu „Was, wenn wir einfach die Welt retten?“ lässt sich eine klare Linie erkennen. Schätzing mahnt uns durch seine Geschichten, dass es noch einige Baustellen dieser Welt gibt, bevor wir technologisch und ökologisch im einundzwanzigsten Jahrhundert ruhig schlafen können. Auch wenn er paradoxerweise viel mehr gekannt als gelesen zu werden scheint, hat es seine Vorstellung von Umweltschutz und Zukunftsvision ins kollektive Gewissen geschafft. Damit sehe ich das Programm des Autors als erfolgreich an.

Persönliches Fazit – Was hat die Schätzing-Lektüre mit mir gemacht?

Zum Programm des Autors gehört der einzelne Leser genauso, wie die breite Masse der Gesellschaft. Dadurch, dass Schätzing Katastrophen auch stets an einzelnen Menschen erzählt, scheint die Lektüre von Schätzings Büchern auch immer etwas für den Einzelnen erreichen zu wollen. Für mich persönlich haben die Bücher Schätzings einige Dinge in Perspektive gesetzt. Ich stehe nun anders am Strand und schaue aufs Meer hinaus, ich höre den Nachrichten und Katastrophen-Meldungen anders zu und ich gehe mit einer informierten Vorsicht, gemischt mit aufgeregter Neugier an neue Technologie heran. Wenn das Programm des Autors für einen einzelnen Leser funktioniert hat, dann für mich.

Anhang

„Der Schwarm“ – Cover mit Iris

2004, 11. Aufl. Köln: Kiepenheuer &­­­ Witsch. ISBN 9783462033743


Quellenverzeichnis

Primärliteratur

  • [SCHWARM] | Schätzing, Frank, 2004. Der Schwarm: Roman. 11. Aufl. Köln: Kiepenheuer &­­­ Witsch. ISBN 9783462033743
  • [LIMIT] | Schätzing, Frank, 2009. Limit: Roman. 2. Aufl. Köln: Kiepenheuer & Witsch. ISBN 9783462037043
  • [SCHMETTERLING] | Schätzing, Frank, 2018. Die Tyrannei des Schmetterlings: Roman.
    1. Auflage. Köln: Kiepenheuer & Witsch. ISBN 9783462050842
  • [WELTRETTEN] | Schätzing, Frank, 2022, Was, wenn wir einfach die Welt retten? Handeln in der Klimakrise, 1. Aufl. Köln: Kiepenheuer & Witsch. ISBN 9783462003932
  • [NACHRICHTEN] | Schätzing, Frank, 2006. Nachrichten aus einem unbekannten Universum: Eine Zeitreise durch die Meere. 2. Aufl. Köln: Kiepenheuer & Witsch. ISBN 9783462036904

Sekundärliteratur

  • [ESSAY] | Kienzlen, Grit, 2007. Fakt, Fiktion, Fälschung: Trends im Wissenschaftsjournalismus. In:. Konstanz: UVK-Verl.-Ges. ISBN 9783867640121

[1] Westdeutsche Akademie für Kommunikation (siehe www.wak.de, zuletzt aufgerufen am 11.02.23)
[2] Intevi, siehe www.intevi.de (zuletzt aufgerufen am 11.02.23, 10:20)
[3] [WELTRETTEN] S.111f.
[4] Autorenseite von Frank Schätzing beim EMONS VERLAG(siehe www.emons-verlag.de/p/schaetzing-frank-671, zuletzt aufgerufen am 11.01.23, 11:15)
[5] [SCHWARM]
[6] Autorenseite von Frank Schätzing bei Kiepenheuer&Witsch (siehe www.kiwi-verlag.de/autor/frank-schaetzing-4000224, zuletzt aufgerufen am 11.01.23, 11:15)
[7] [NACHRICHTEN]
[8] [WELTRETTEN] S.21f.
[9] [SCHWARZM] Abbildung des Covers, siehe Anhang
[10] „Arsch huh, Zäng ussenander!“ (siehe www.arschhuh.de/über-uns , zuletzt aufgerufen am 11.02.23 10:30)
[11] Pressemitteilung von P.E.N Deutschland (siehe www.pen-deutschland.de/de/2020/12/09/daniel-kehlmann-karen-koehler-und-juan-moreno-als-neue-pen-mitglieder-zugewaehlt , zuletzt aufgerufen am 11.02.23 10:25)
[12] [WELTRETTEN] S. 21ff. und [ESSAY] S. 147
[13] [ESSAY] S. 150
[14] [ESSAY] S. 149  |  Des Weiteren „Methanhydrat“ (siehe de.wikipedia.org/wiki/Methanhydrat, zuletzt
aufgerufen am 11.02.23, 11:35)
[15] „K.I.“ – künstliche Intelligenz / „A.I.“ – Artificial Intelligence. Schätzing hält sich hier an das deutsche Akronym
[16] „Skynet“, der Großkonzern mit künstlicher Intelligenz aus Jams Camerons „The Terminator“(1984), welcher tödliche Killer-Roboter baut.
[17] „HAL“ – Die künstliche Intelligenz in Stanley Kubricks „2001: Odessey im Weltraum“ (1968)
[18] [NACHRICHTEN] S.13ff.
[19] [NACHRICHTEN] S.47 ff.
[20] [WELTRETTEN] S.26f.
[21] [ESSAY] S. 150
[22] [WELTRETTEN] S.9f.
[23] [WELTRETTEN] S.22 ff.
[24] Der Hörverlag (siehe www.penguinrandomhouse.de/Hoerbuch-Download/Der-Schwarm/Frank-Schaetzing/der-Hoerverlag/e400091.rhd, zuletzt aufgerufen am 11.02.23 11:00)
[25] Audible (siehe www.audible.de/author/Frank-Schaetzing/B001ITXLB2 , zuletzt aufgerufen 19.12.22 11:22)
[26] Vorstellung der Serie in der ZDF Mediathek (siehe www.zdf.de/serien/der-schwarm, zuletzt aufgerufen 11.02.23, 18:30)
[27] [ESSAY]
[28] [ESSAY] S. 147
[29] [ESSAY] S. 148
[30] [ESSAY] S. 149
[31] [ESSAY] S. 149f.
[32] [ESSAY] S. 150
[33] Schätzing als TerraX  Moderator (siehe bspw. www.zdf.de/dokumentation/terra-x/universum-der-ozeane-mit-frank-schaetzing-1-100.html, zuletzt aufgerufen 11.02.23 11:10)

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